Lilith

Forschung

1999–2003

Dezember 99

Die 13 elektropoetischen Szenerien – «Liebe Lilith» – sind das Resultat meiner über zwei Jahre gestreuten Zusammenarbeit mit Tomas Wullschleger.
Ich begegnete Lilith in feministischem Zusammenhang und befasse mich mit der astrologischen Lilith, dem Schwarzen Mond, seit 1990.
Unser gemeinsames Thema für das geplante Bühnenprogramm wurde Lilith, wenn ich mich recht erinnere, im Januar oder Februar 98. Tomas und seine Frau Karin fanden literarische Spuren der Lilith – und von Tonträgern des Kabbala-Spezialisten Friedrich Weinreb lernten wir die Lilith auf eine wieder neue Art kennen. Haben die Astrologinnen in Lilith auch die vorpatriarchale Göttin gewürdigt, so zeigte Weinreb ihre – nicht weniger interessanten – dämonischen Dimensionen aus der jüdischen Überlieferung auf.
Später kam Tomas mit dem langen Gedicht von Isolde Kurz `Die Kinder der Lilith`- da hatte Lilith plötzlich einen engelhaften Charakter!
In diesem Spannungsfeld entwickelten sich unsere Gespräche, Diskussionen, Gedankenverlorenheiten. Wir suchten Lilith in unserer Vergangenheit, in unseren Gefühlen und Ahnungen, versuchten ihr philosofisch (was für ein Fisch?) beizukommen, waren von ihr besessen zeitweise – SIE hingegen liess sich nicht in Besitz nehmen, kam uns trotzdem grosszügig entgegen mit ihren zweifelhaften Geschenken. Sie hat sich in diesen zwei Jahren in meinem Leben aufgefächert wie noch nie –
Darum, als Tomas Wullschleger letzthin kam und fragte: „Was ist es, unser Projekt? Was machen wir?“- drum antwortete ich: „Forschung.“

Jahrtausendwende

    Resultat eins:
Lilith hat zur Frau* eine signifikant andere Position, als zum Mann* – als Frau spüre ich Lilith hinter mir, als Rückendeckung, als Flüstern ins Ohr, als Angst im Nacken. Als Mann sehe ich sie Gegenüber……
*Mann und Frau sind hier nicht biologisch gemeint, sondern als zwei einander anziehende Pole. In lilithistischen homosexuellen Begegnungen gibt es vermutlich auch „das Mann“ und „das Frau“. Schon beim lilithistischen Blick in den Spiegel vielleicht sogar…

Februarneumond 00

    Idee zwei:
Lilith ist ein Blickwinkel – sie wirft ein Licht auf die Verheissungen in schweren  Lebenserfahrungen. Jenseits der Worte (es wird geschrieben, Lilith schweige -) auch darum, weil sie weder Ethik noch Pietät würdigt und weil der Stoff, aus dem Wörter sind, zu grob ist, um auszudrücken, was sie uns vermittelt. Liliths Stoff ist leichter, wehender – schon ein Atemhauch hebt ihn, schon Wärme lässt ihn steigen, zwei drei Tropfen lassen ihn fallen. Lilith’s Stoff ist der (ungestärkte!) Schleier. Nicht Tüll, eher Seidenschleier.  Wenn die Sprache ein Gewebe ist, dann ist Liliths Schleier die Geste, die Mimik oder ein unartikulierter Laut.

Märzvollmond 00

    Filosofie three:
Lilith prophezeit. Sie liest in der Vergangenheit die Zukunft, während in der Gegenwart etwas hinter dir erlischt oder etwas dich sticht oder etwas neben dir zerbricht.
dafür:
in einem Versteck sich etwas entfaltet, noch feucht … vielleicht Flügel. Eher dunkel aber mit Glanz.

Maineumond 00

    Tarot Theorie vier:
Ein magisches Zentrum der Kabbala bildet der Baum des Lebens mit seinen zehn Sephirot und zweiunzwanzig Pfaden. In der Mitte des Paradieses stand ausser dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen, von welchem Adam und Eva den Apfel assen, ein zweiter: der Baum des Lebens. Es sei der Baum der Erkenntnis der Kräfte der Schöfpungsordnung, schreibt Hans-Dieter Leuenberger in „Tarot und Kabbala“.
Auf dem kabbalistischen Baum des Lebens findet sich eine verborgene, eine elfte Sephira namens Daath. Sie liegt – in der Sprache des Tarot- auf dem Pfad der Herrscherin, der Drei von den zweiundzwanzig grossen Arkana – der Pfad hat die Nummer 13.
Lilith und die Nummer 13:
Die dreizehnte Fee aus Dornröschen hat auffällig lilihtistische Züge: Sie prophezeiht, sie iniziert, sie ist die Verstossene von den Feen, die Ausgeladene.
13 ist die Zahl der Neumonde in einem Jahr – 13 mal menstruieren Frauen jährlich – Menstruation ist ein Zeichen für Empfängnisfähigkeit im Allgemeinen und ein Zeichen für das Nicht-schwanger-sein im Besonderen. Dieser bemerkens-werte Brennpunkt von Frucht- und Unfruchtbarkeit verweist auf Lilith ebenso wie die Tabus – tradierte und moderne – mit welchen dieses Bluten beladen ist.
13 als Unglückszahl spricht dieselbe Sprache.
Im Tarot trägt die Karte „der Tod“ die Zahl 13. Lilith als Kinderfresserin und bei Beerdigungen mit Ritualen gebannte Seelendiebin steht mit dem Tod auf Du und Du.
Lilith und die Herrscherin des Tarot: Die fruchtbare Muttergöttin, wir können sie auch Eva nennen, mag eine verborgene Gefährtin haben, mit einer weit beunruhigenderen, unsichtbaren Kinderschar…

Junivollmond 00

    Erkenntnis fünf:
Lilith als Kinderfresserin kommt nicht nur geflogen, um die Kinder oder Föten zu holen (wie der Storch geflogen kommt, um sie zu bringen), sie knabbert auch an unserem inneren Kind. Jede Begegnung mit Lilith kostet uns einen Teil Kindlichkeit, Naivität, Glaube. Das ist Verlust und Wachstum zugleich. Ein Bissen Paradies, der Erkenntnis geopfert.
Liliths Verhältnis zum Storch – das ist mein momentan liebstes Gedankenspiel.

Julineumond 00

    Behauptung sechs:
Lilith öffnet sich Dir in der Einsamkeit. Sie erschwert eine reale Beziehung indem sie uns mit den Verlockungen der getraeumten, erinnerten, ersehnten und virtuellen Leidenschaft beschäftigt. Wenn wir uns alle gewesenen, nicht zu haltenden, erwarteten, möglichen, verweigerten erotischen Fixierungen zwischen Menschen als feine Fäden vorstellen, dann räkelt sich Lilith in der Mitte des Netzes, jeder Faden wird von ihr berührt und mit ihrer Faszination aufgeladen.

Septembervollmond 00

    Erläuterung sieben zur Loopgeschichte: Schlitz oder Loch
Der Text von «Liebe Lilith», geschrieben von Tomas, ist eine Loopgeschichte
(Endfassung: … und so war das Mensch im Paradies mit einem Mal zwei Mensch.
Das eine hatte einen Schlitz, das andere einen Spitz, wodurch sich das Mensch von das Mensch unterschied und sich zusammenstecken liess…).
Zu einem einzigen Wort aus einer früheren Fassung der Geschichte, gibt es eine hitzige (Loop) Diskussion. Mir kommt die Bezeichnung „Loch“ – ich weiss, es soll als Wortpaar mit „Stiel“ so funktional wie möglich gesagt sein – falsch vor. Ich bin eine Vertreterin von „Schlitz“. Dass ein Mann auf der Suche nach einem naiven und funktionalen Namen (es staunen hier die ersten Menschen im Paradies über die Möglichkeit des sich-zusammen-steckens) für die Geschlechtsteile auf Loch und Stiel kommt, ist – einfühlbar. Als ich besagte Passage zum ersten mal las, lachte ich amüsiert. Von einer Freundin angeregt, vertiefte ich mich eine Weile in dieses Loch und fand: Von einer Frau erfunden, wäre diese Bezeichnung ihrer Vulva weder naiv (das wäre eher Schlitz) noch funktional sondern allenfalls ein Hinweis auf sexuelle Hörigkeit von einm Mann – das Loch hat gar kein eigenes Material, es umschreibt bloss die Abwesenheit eines Anderen. Weil nun im Bühnenprogramm eine Frau – nämlich ich – diese Geschichte vorträgt, raufen wir uns in diesen ziemlich lilithistischen Gefilden und stecken auch schon unser Umfeld an.
Aber es lohnen sich alle Aufregungen und Spitzfindigkeiten, denn wir sind am Puls der Geschlechterdifferenz …

Oktoberneumond 00

    Aufruf acht:
Könntet Ihr bitte Eure Muttermale zählen (oder zählen lassen) und mir die Anzahl zusammen mit Eurem Geburtsdatum (plus -zeit und -ort) zu Forschungszwecken zusenden? Falls ihr unsicher seid, ob ein Fleck zählt, weil er so klein ist, dann schliesst die Augen – wenn ihr ihn mit dem Finger fuehlen könnt, gilt er – nicht aber Märzenflecken und andere vergängliche Tupfen! (Die Plazierung dieser Muttermale auf dem Körper wäre bei geringer Menge auch noch deutbar, vor dem Dezember zu zeitraubend für mich–)

Dezemberneumond 00

    Uiiiii, neun !!! :
Ungefähr neun Jahre geht es, bis Lilith den Tierkreis umrundet hat (Lilith ist kein Planet, sondern ein sensitiver Punkt, der zweite Brennpunkt der Mondellipse, wobei der erste Brennpunkt von der Erde selber eingenommen wird). Für Menschen geeignet, die Zuordnungen mögen:
Der Helmbasilisk (das ist kein Halbedelstein sondern eine Echse) und die Brennnessel (das ist kein asselartiges Tier, sondern eine Pflanze) sind ab jetzt zu Forschungszwecken Lilith zugeordnet. Richard Willfort schrieb in seinem Heilkräuterbuch: In der neueren Volksdeutung heisst es, der Blitz kenne die Nesseln so gut, wie der Mensch und hüte sich, in einen Brennnesselbusch zu fahren.

Februarvollmond 01

    Erfahrung zehn :
Es war eine sechs Monate alte Königspython in meinen Händen und unter meinem Pullover am Januarneumond 01. Ein Weibchen. Sie hat etwas unheimlich fesselndes natürlich, als Würgeschlange. Ihre Kraft – die zukünftige und die gegenwärtige – war fühlbar, auch die alte, eher mythische Kraft war spürbar im ganzen Raum. Alle Anwesenden schienen auf eine Art an die Schlange gebunden zu sein. Über Faszination, Respekt (und in meinem Fall auch Zärtlichkeit – sie aber lag ja nicht aus zärtlichen Gefühlen so angenehm um mich herum und ihre Langsamkeit der Bewegungen, ihr annehmen meiner Temperatur hat ganz andere Gründe). Sich dem tiefen Eindruck einer Schlange zu entziehen ist wohl nicht sehr menschlich. Kein Wunder, haben Adam und Eva vom Apfel gegessen. Die Schlange indessen interessiert sich einfach für Gerüche und die feinsten Temperatur- und Texturschwankungen – sucht Wärme (wenn sie friert wird ihre Zunge blau) und Ruhe, falls sie satt ist. Und das war sie diesmal.

Märzneumond 01

    Plädoyer elf :
Von den Tabus, welche Lilith seit jeher missachtete, sind im westlichen Kulturkreis viele – vor allem die sexuellen – längst erledigt. Aber ich behaupte – mit spoettischem Wink nach Amerika: Wir alle können noch immer ganz leicht schockieren: Wir brauchen bloss nach uns selber zu riechen, statt nach Duschmitteldüften. Den Frauen ist schon der Hinweis auf einen Körpergeruch quasi verboten – woher kommt sonst der Ekel vor Körperhaaren? Sie wachsen an Stellen, die riechen. Die Schamhaare am Bikinirand weisen darauf hin, dass hier nicht einfach der Körper gleich weiter geht, wie bei einer Puppe, sondern etwas viel faszinierendes anfängt – und das riecht. Es riecht bei jedem Mensch anders, und jeder einzelne Geruch vermag anzuziehen oder abzustossen. Geschmacksache. Oder eine Frage der Liebe. Ich zweifle keine Sekunde an Forschungsresultaten, welche belegen, dass wir jemanden, den wir nicht gerne riechen auch nicht lieben können. Als Liebende begeistert mich die Geruchslandschaft des Körpers mit ihren Variationen. Bei den Achselhaaren riecht es anders als zwischen den Beinen und vorne anders als hinten, im Kopfhaar anders als im Brusthaar und ich würde am liebsten noch ganz lang weiter schreiben, so behext bin ich vom Geruchsinn. Ich habe diesen Sinn in Liliths Reich angesiedelt – mit seinem Anziehen-Abstossen, seinem Ekelpotential, seiner sexuellen Komponente, seinem Einfluss auf das Begehren und seiner Wirkung im Instinktbereich. Gerüche machen keine langen Umwege über die Gehirnrinde, sie wirken unbewusst. Wenn Überlieferungen von Liliths Haarpracht und Beinbehaarung erzählen, dann fehlt bloss das Wagnis eines tiefen Atemzugs um sie zur Verfechterin der Körpergerüche zu machen. Wagen wirs.

Maivollmond 01

    Gewissheit zwölf :
Lilith ist bei uns mit ihrem uferlosen Bildermeer wenn wir onanieren und mit ihrem Blendwerk wenn wir uns verlieben. Egal ob Dämonin oder Göttin, sucht sie uns Menschen, weil sie selber körperlos ist. Sie braucht unser Fleisch, um zu wirken. Um fassbar zu werden. Lilith ist nicht ohne das Mensch. Die astrologische Lilith ist kein Planet, kein Asteroid, nichts doch ein Brennpunkt. Sie ist ein leerer Ort mit dem Potential, welches leere Orte eben bergen. Übersetzt auf die künstlerische Ebene ist sie folgerichtig Trägerin zukünftiger Ideen auf der Suche nach Konkretisierung. Sie braucht das Mensch, um es zu inspirieren, damit die Ideen zur Wirkung kommen. Sie ist die Muse der geküssten Kreationen, der andächtigen Aufmerksamkeit, der blendenden Schärfe. Lilithische Kunst entsteht –vermutlich – in einer Lust am in-sich-selber-versinken oder in einem Rausch ganz auf Empfang – weit entfernt von der Absicht, Kunst zu machen, trendy zu sein, zu gefallen oder zu genügen. Was entsteht ist prophetisch, verführerisch und originell. Zielsicher wie Art brut, mehrdeutig wie schamanische Dichtung, unverkrampft wie Telefonblockgekritzel, verwirrend wie Verliebtheit, kompromisslos wie Onanie. Und manchmal – rueckblickend – wie ein Traum.

Julineumond01

    Vermutung dreizehn:
Dort wo das Fehlende hin verschwunden ist, dort wo das Nicht-inkarnierte wartet, dort ist Liliths Garten. Unserere letzte Aufführung «Liebe Lilith» wurde von einer Gruppe Gehörloser besucht. Ihre Uebersetzerin verwandelte im Licht einer Taschenlampe Klang und Text in Gestik, Mimik und Zeichen. Plötzlich trat – als technische Panne – Lilith persönlich auf und bescherte uns Hörenden eine Ahnung von fehlendem Ton: Ich griff in die Tasten, um die Samples (Samples sind kurze, über eine Tastatur abrufbare Texte/Klänge/Tonfragmente) auszulösen – aber die Samples kamen nicht. Genau wie die Gehörlosen, sahen mich die Hörenden lautlose Tasten drücken. Die zwei Mischpult-Kanaele des Sampler waren mysteriöserweise ausgestiegen. Anders ausgedrückt: Lilith mischte sich live in die Performance ein, um es an etwas fehlen zu lassen. Sie machte die Normalitaet Gehörloser zur Erfahrung für sogenannt Normale. Panne nennen wir das. Panne? Lilith in einer ihrer Eigenheiten: Was als Verlust auftritt hallt als Bereicherung, als Inspiration nach …

Novemberneumond 01

    Enthüllung vierzehn:
Nicht umsonst haben die Tasten dieser Web Site Dreiecksform wie das Schamdreieck. Das männliche Schamhaardreieck verläuft im Allgemeinen mit Spitz oben beim Bauchnabel. Das weibliche Haar-Dreieck zeichnet die Waagrechte über dem Schambein nach und läuft unten in den Spitz (in Richtung Schlitz). Zum Glück gibt es von Schamdreiecken alle möglichen Zwischen– und Mischformen, wie bei den Geschlechtern und ihrer Orientierung auch – Weiblich und Männlich sind zwei Pole – Orientierungshilfe beim Denken und Koordinaten im Leben. Es gibt sie, wie Südpol und Nordpol – aber nicht dort findet das Leben statt (ausser natürlich für Eisbäre und -innen und Pinguine) sondern in der grossen runden Welt dazwischen. Die Schambehaarung – das wird in früheren Forschungsabschnitten ausführlich beleuchtet – birgt Gerüche (Liliths Domäne, Dämonen-Domäne) und einen Körperfleck, welcher sich vom Rest unterscheidet. Seine Entblössung kommt in der Öffentlichkeit mit Emotionen wie Scham, Provokation, Neugierde, Lust, Schreck, Empörung, Verlangen … einher und es kann Geld damit verdient werden (was ja für die Entblössung der Füsse kaum gilt). Auch im intimen Rahmen ist mit dem (abstrakt ausgedrückt:) Zeigen dieses Dreiecks eine komplexe Menge an Ausdruck und Eindruck verbunden (Vertrauen, Verlockung, Drang, Unterwerfung, Faszination, Anziehung, Abstossung, Preisgabe, Macht, Versprechen …) – es wimmelt hier von lilithischen Begriffen. Aber, wie die Geschichte von Lilith mit Eva und Adam dramatisch illustriert, ist da noch ein anderes, als das Haardreieck angesprochen. Die Dreiecksbeziehung mit ihren lilithistischen Abgründen. Lilith zwischen Adam und Eva, Eva zwischen Lilith und Adam, Adam zwischen Eva und Lilith – Lilith zwischen Samael und Adam, Samael zwischen Adam und Lilith, Lilith zwischen Adam und Gott.

Januarneumond 02

    Hintergrund fünfzehn:
Liliths Rolle in der heterosexuell ausgerichteten Onanie des Mannes ist aus der jüdischen Überlieferung bekannt. Von der imaginierten Lilith aufgereizt, zeuge er mit ihr Dämonen. Was vermutlich in orthodox-jüdischen Zusammenhängen ebenso abschreckend ist, wie das Erblinden, welches christlich aufwachsenden Jungen angedroht wurde. Dämonische Wesen sind übrigens der eigentliche Adel dieser Web-Site: willkommene und höchst amüsante Kreaturen, Verwirrung -, Verirrung -, Verzettelung stiftend, schwer zu bändigen, kaum zu dirigieren… allenfalls zu gewinnen aber nur vielleicht.
Liliths Rolle bei anderen Onanie-Fantasien dürfen wir selber entwerfen. In unserer Performance verbringt Lilith die längste Zeit bei das Frau (wobei sich Frau nicht biologisch versteht, wie der Artikel `das` beteuert). Diese Szene spielt in einem Zimmer, welches sich durch die wachsende Lust in eine Kathedrale verwandelt. Ob nun Fraus Identifikation mit Lilith oder Lilith als Partnerin Verlangen wachruft – das ist offen. Jedenfalls behaupten wir Liliths Anwesenheit bei der Onanie von das Frau. Hetero oder nicht.
Und die homosexuelle Männerfantasie? Wo ist Lilith hier? Gerne lasse ich mich von Zuschriften zu diesen Themen überhäufen – momentan steht es um meine Mutmassungen so: Lilith (hat übrigens in Horoskopen von schwulen  Männern oft eine dominante Position) ähnelt den femininen Figuren und Idolen der Schwulenszene. Georgette Dee z.B. stellt mit ihren Liedern eine äusserst lilithistische Diva dar: das Lied ist die reinste Aufforderung zum Sex (ohne Zeugungszweck, wohlverstanden).
In unserer Performance besucht Lilith auch das onanierende Mann und mit dabei ist (via Sampler) Leonard Cohen mit vielen Frauennamen von Nancy bis Susanne….
Die Textpassagen wurden vom meines wissens heterosexuellen Tomas geschrieben, entwickelt aus Gesprächen mit mir (fuer welche ähnliches gilt). Durch meine vielen lesbischen und bisexuellen Freundinnen und Diskussionen in den feministischen Achziger Jahren inspiriert und sensibilisiert, war mir an der Arbeit mit der Lilith wichtig, diese Figur aus dem heterosexuellen Klischee herauszubegleiten, ohne sie gleich zur Göttin zu machen. Tomas Lösung ist ebenso einfach wie wirkungsvoll: Das Mensch mit Lilith im Paradies, das Frau und das Mann sehnen sich nach Lilith im Paradies…

Maineumond 02

    Immerhin sechszehn:
Liebe Lilith, Du kommst jetzt an die Expo und überallhin (wie andere böse Mädchen auch). Ich bin nicht sicher, ob ich richtig gehört habe, aber ich fürchte, im DRS3 haben sie gesagt, Du seist an der Expo oder überhaupt die Urmutter! Wie Du weisst, täte ich Dich eher unter Urszene auftreten lassen, als Dich in diese ehrwürdige Rolle (welche uns alle zu einer grossen Familie macht) zu quetschen. In meinem Computer, Lilith, darfst Du Dich weiterhin dem Menschenfleisch verweigern, als Luftschloss und Lockstoff und Aufregerin.

Augustneumond 02

    Sieh sie siebzehn:
Wie geht ein Abschied von Lilith? Geht gar nicht. Dich von Lilith verabschieden ist, als ob du ein Amulett gegen sie um den Hals legtest: Dauernd würde es an dir rumbaumeln, ans Herz klopfen und dich an sie erinnern. Ein Amulett gegen Lilith betont, dass eine Lilith existiert – eine lauernde sogar, die etwas von dir will, oder wollte, wenn das Amulett nicht wär. Nun habe ich mit Lilith durch das Performance-Projekt und diese Web Site eine öffentliche Liaison. Eine mich fesselnde Liaison.
Die tausendfache Lilith hat minimum einen ihrer zweitausend Füsse in my door. Einige ihrer zehntausend Finger on my bell. Ich schicke sie nicht davon – verehrtes Publikum – ich lasse sie herein, schliesse die Tür und ihr seht sie nicht mehr an meinem Portal.
Lilith überquert seit 98 den oberen Himmel meines Horoskopes. Im nächsten Februar (03) taucht sie wieder unter meinen Horizont. Bis dann ist noch Zeit um mich mit «Liebe Lilith» zu engagieren.
Danach bin ich frei für wer-weiss-was-für-ein anderes Projekt …

Februarneumondneumond 03

    Sie ach neun zehn:
Wenn der Regenbogen* scheint, sagen die kleinsten: Lilith weint.
Schreibt Isolde Kurz. Ich Reiche ihr (Lilith, nicht Isolde) ein Taschentuch und schaue unentwegt weg zum Regenbogen. Lilith kichert. Sie tupft sich damit den Schweiss von den seidig glänzenden Achselhöhlen um es mir dann zurück zu geben. (Wenn der Regenbogen blitzt, sagen die Grossen: Lilith schwitzt.) „Wirf es ins Publikum, und wer es auffängt – rat mal!“ Das sind Liliths letzte Worte.
*… Ein Regenbogen besteht also aus einer Art fallenden Spiegeln – den Regentropfen, die nacheinander in den Regenbogenfarben aufblitzen … (Reto U. Schneider, NZZ Folio März 03)